Radio-Strategien unter der Lupe

Eine aktuelle Publicom-Studie über Programmstrategien von Schweizer Radios zeigt auf, dass die Radiolandschaft vielfältiger ist als ihr Ruf. Die Radios unterscheiden sich aber vor allem durch ihre Informationsleistung. Die Untersuchung basiert unter anderem auf einer detaillierten Analyse von neun Radioprogrammen in der deutschen und welschen Schweiz.

 

Projekt und Methode

Über die Programmstrukturen schweizerischer Radiosender ist nur wenig bekannt. Denn im Gegensatz zum hohen (technologischen) Stand der Rezipientenforschung fristet die hiesige Programmforschung ein kümmerliches Dasein. Selbst auf scheinbar ebenso einfache wie naheliegende Fragen, wie z.B. nach den strukturellen Unterschieden zwischen öffentlichen und privaten oder zwischen welschen und deutschschweizerischen Radioprogrammen gibt es kaum empirisch gesicherte Antworten.

Mit dem Ziel diese Forschungslücke zu füllen, untersuchte das Projekt „Programmstrategien in der schweizerischen Radiolandschaft“ die Programmraster aller in der Schweiz konzessionierten, terrestrisch empfangbaren Radiosender und unterzog neun exemplarische Programme (DRS1, DRS3, Radio 24, Hitradio Z, Radio BeO, La Première, Lausanne FM, Radio Framboise, Radio Chablais) einer detaillierten Inhalts- und Formatanalyse. Erhebungszeitpunkt ist der Sommer 2002.

 

Ergebnisse

Vielfalt und Monotonie

In der Schweiz sind im Sommer 2002 55 terrestrisch empfangbare Radiostationen konzessioniert. Die Bandbreite reicht von den öffentlichen Radios der SRG über die kommerziellen Privatradios bis hin zu alternativen Programmen, die sich an kleine Spezialpublika richten. Die Programmkonzepte sind sehr vielfältig. Neben den auf leichte Konsumierbarkeit getrimmten, urbanen sog. Formatradios mit hohem Musikanteil erreichen auch die wortlastigen ersten Programme der SRG ein Massenpublikum. Daneben bestehen eine Reihe von Radios, die mit einem speziellen Musikprogramm (z.B. Radio Tropic), Kultursendungen (zweite SRG-Programme) oder offenen Programmplätzen für gesellschaftliche Randgruppen (z.B. RaSa, LoRa) eher Minderheiten ansprechen. Viele dieser kleinen Sender bieten innovative Sendungen und erstaunliche Leistungen.

Es können vier Programm-Typen unterschieden werden. Die meisten Radios (40) sind dem Typus ‚Musik und Service‘ zuzurechnen. Darunter fallen alle Angebote, deren Programme von aktueller Popmusik dominiert sind. Ergänzend kommen Nachrichten, lokale Informationen und andere Serviceelemente hinzu. Der Typus des informationsorientierten Vollprogramms ist charakterisiert durch einen hohen Informationsanteil und vergleichsweise wenig Musik. Vier SRG-Radios und ein privates Radio gehören ihm an. Weitere vier Programme zeichnen sich durch einen hohen Anteil an Kultursendungen aus (Typus ‚Kultur). Die Radios des Typus Alternativbilden eine heterogene Gruppe von sechs Programmen, die z.B. durch offene Sendeplätze und Minderheitensendungen auffallen und meistens durch Spenden und Zuschüsse aus dem Gebührensplitting finanziert werden.

Der globale Befund einer vielfältigen Radiolandschaft relativiert sich allerdings, wenn sich der Fokus auf die publikumsstarken Sender richtet. Von den neun formatanalytisch untersuchten Programmen weisen sieben, nämlich Hitradio Z, Radio 24, Radio BeO, Lausanne FM, Radio Framboise, Radio Chablais und DRS3 weitgehend identische Programmstrukturen auf. Bei diesen Radios des Typus ‚Musik und Service‘ liegt der Musikanteil im Tagesprogramm zwischen zwei Dritteln und drei Vierteln, der Informationsanteil zwischen sechs und sechzehn Prozent der Sendezeit. Eine Sonderstellung nehmen die beiden SRG-Sender, DRS1 und La Première ein. Ihre Programmstruktur unterscheidet sich fundamental von derjenigen der übrigen analysierten Stationen: Hohe Informationsanteile, und ein weit geringeres Gewicht der Musik, die bei La Première sogar eine klare Nebenfunktion einnimmt, prägen deren Programme.

Die meisten Stationen strahlen tagsüber ein „mehrheitsfähiges“ Musikprogramm aus, in dem Stile ausserhalb des Pop-Rock-Spektrums selten Platz haben. Ausnahmen sind die Radios der Typen ‚Kultur‘ und ‚Alternativ‘, sowie Radio Tropic, das ausschliesslich „tropische“ Musik sendet. Die Formatanalyse der neun untersuchten Radiostationen zeigt denn auch eine weit gediehene Uniformierung der Musikformate, die sich u.a. im Stilspektrum äussert: Der Anteil an Pop liegt zwischen 72% (DRS1) und 94% (DRS3). Schon Rock wird tagsüber kaum noch gespielt, Hip Hop, Techno, Jazz oder Schlager schon gar nicht. Der Eindruck verstärkt sich, wenn auch andere Aspekte der gespielten Musik, wie z.B. die Sprache und Titelbekanntheit betrachtet werden. Von kleineren und grösseren (DRS1) Nuancen abgesehen, bauen die gängigen Musik-Programmstrategien in hohem Masse auf bekannten englischen Pop-Titeln der letzten zwanzig Jahre auf.

 

Der Einfluss der Sprachregion bzw. der Konkurrenzsituation

Die Studie ergibt keine Hinweise, dass welsche Radiostationen grundsätzlich andere Programmstrategien verfolgen als deutschschweizerische. Es wird aber deutlich, dass die Westschweizer Radiolandschaft noch etwas differenzierter ist als die deutschschweizerische. Die Tatsache, dass La Première dank seinem hohen Wort- und Informationsanteil eine absolute Sonderstellung einnimmt, führt wohl dazu, dass sich die Formatlandschaft weniger kompetitiv und eher komplementär präsentiert.

Stärker als die Sprachregion wirkt sich die Konkurrenzsituation aus. In Situationen mit hoher Wettbewerbsintensität tendieren die Radiostationen offenbar dazu, ihre Programmstrategien ähnlich auszurichten: Das Musikformat wird verengt und zwischen Mainstream-Adult Contemporary- und Contemporary Hit Radio-Format angesiedelt. Die Informationsanteile werden reduziert und mit Boulevardelementen angereichert. Und um die Unterscheidbarkeit sicherzustellen, setzen die Radios in hohem Masse akustische Erkennungsmerkmale ein, welche quantitativ die Bedeutung der Information zum Teil sogar übersteigen.

Dieses Grundmuster tritt in der deutschen Schweiz noch etwas deutlicher hervor als in der Westschweiz. Die Formate der beiden Zürcher Konkurrenten sind nahezu austauschbar. Aber auch das mit Gebührengeldern finanzierte DRS3 praktiziert eine weitgehend identische Programmstrategie. Zwar ist seine Informationsleistung um eine Spur reichhaltiger, sein Musikprogramm um eine Nuance weniger hitparadenlastig, und natürlich fehlen bei ihm die Werbung und die lokalen News, ansonsten ist aber sein Format von demjenigen der privaten kommerziellen Sender nicht zu unterscheiden.

Im Bereich der Information scheint Wettbewerb zu einer Quantitäts- und Qualitätseinbusse zu führen. Interessant ist nämlich, dass die weitgehend geschützt agierenden Radios im Berner Oberland und Chablais eine quantitativ und qualitativ bessere Informationsleistung zu bieten haben als die meisten anderen Privatradios. So ist die Informationsleistung von Hitradio Z geringer als ihr Output an akustischen Erkennungsmerkmalen, und bei Lausanne FM ist der Werbeumfang grösser als der Informationsoutput.

 

Service public in dynamischen Radiosystemen

Wird auf eine inhaltsorientierte Definition von Service public abgestellt, so gehören dazu Angebote aus den Bereichen Politik, Kultur, Bildung und Wissenschaft, die der Markt normalerweise nicht bereit stellt. Die zweiten SRG-Programme dürften in dieser Hinsicht unbestritten sein. Die Formatanalyse zeigt zudem auch für die beiden ersten Programme ein Profil, das sich markant von den privaten Programmangeboten unterscheidet. Ihre Informationsangebote sind sowohl quantitativ als auch qualitativ den Privaten klar überlegen. Bei DRS3 ist hingegen im Tagesprogramm kein markanter Unterschied zu den urbanen Privatradios auszumachen.

Unter den analysierten Radios beziehen zwei Radios, nämlich Chablais und BeO, Gelder aus dem Gebührensplitting. Radio Chablais z.B. rechtfertigt dies durch einen Informationsoutput, der quantitativ klar über der Leistung der anderen privaten Stationen, aber auch von DRS3 liegt. Radio BeO berichtet täglich eine Dreiviertelstunde qualitativ überzeugend über lokales Geschehen, was im Vergleich zu anderen Radios eine respektable Leistung bedeutet. Eine offene Frage bleibt indes, ob die mit dem regionalen Service public verbundenen Aufwendungen tatsächlich nicht aus dem Werbemarkt finanziert werden können, da ja davon auszugehen ist, dass lokale Informationen ein publikumsattraktives Programmelement sind.

Die Dynamisierung des Radiosystems hat in der Schweiz bereits erstaunliche Ausmasse angenommen (z.B. Übernahmen von Radio 24, Radio Basilisk oder Radio Edelweiss durch grosse Medienunternehmen, faktische Übernahme von Hitradio Z durch eine französische Mediengruppe und verschiedene Erweiterungen von Versorgungsgebieten). Sie resultierte bis anhin vor allem in einer Homogenisierung der Programmformen. Der damit einher gehende Profilverlust der Programme dürfte aber wieder Rückwirkungen im Publikumsmarkt haben. Befunde aus Hörerstudien deuten nämlich an, dass austauschbare Mainstream-Radios markant an Beziehungsqualität verlieren. Dies wiederum begünstigt das „Zapping“, ein Phänomen, das bis anhin eher als Ausnahmeerscheinung galt. Die längerfristigen Folgen dieser Phänomene sind für die Radiolandschaft noch kaum absehbar. Dass der Homogenisierungsprozess ad infinitum voranschreitet, ist aber eher unwahrscheinlich. Denn eine Strategie der Annäherung an die Konkurrenz macht ökonomisch nur so lange Sinn, als es damit gelingt, das Publikum zu vergrössern. Wenn alle dasselbe bieten, wird aber derjenige sein Publikum vermehren, der sich differenziert. Diese Erfahrung werden auch Medienkonzerne machen, die weltweit mit standardisierten Methoden arbeiten.

Medienpolitik und Regulierungsbehörden werden diese Prozesse nur bedingt steuern können, denn ihr Interventionsinstrumentarium ist dafür zu unpräzis. Sie werden aber nicht umhin können, die Entwicklungen mit geeigneten Instrumenten zu beobachten und zu analysieren. Ein systematisches Programm-Monitoring dürfte deshalb je länger desto unerlässlicher werden.

 

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