Sonderwerbeformen bedrängen klassische Spot-Werbung

Die Aufmerksamkeit des Publikums für Werbeinhalte schwindet. Deshalb sucht die Werbewirtschaft neue Wege, um ihre Zielgruppen zu erreichen. Sonderwerbeformen wie Sponsoring, Product Placement, Split Screens, etc. sind näher am Programm und werden deshalb immer populärer. Publicom und INFRAS haben in einem gemeinsamen Forschungsprojekt die Situation in der Schweiz analysiert. Dabei wurde auch die Einstellung des Publikums zu programmintegrierter Werbung beleuchtet.

 

Projekt und Methode

Die Studie befasst sich mit der Wahrnehmung und Handhabung neuer Werbeformen in Radio und Fernsehen. Anhand von Literaturanalysen und Expertengesprächen wurde untersucht, welche Formen existieren, welche Akteure die Entwicklung bestimmen und welches ihre Rollen und Strategien sind. Ferner wurden mittels einer qualitativen Publikumsbefragung in der deutschen und französischen Schweiz die Wahrnehmung und Beurteilung der verschiedenen Werbeformen durch die RezipientInnen analysiert.

 

Ergebnisse

Definition und Ausprägungen von Sonderwerbeformen

Mit der Zunahme des Informationsangebots im Mediensystem sinkt tendenziell die Aufmerksamkeit des Publikums für Werbeinhalte. Die Werbewirtschaft sucht daher neue Wege, um ihre Zielgruppen zu erreichen. Im Bereich der elektronischen Medien entstehen Werbeangebote, die einerseits neue technische Möglichkeiten ausschöpfen und andererseits versuchen, die Ausweichstrategien des Publikums zu durchbrechen, indem sie näher ans Programm rücken. Solche „Sonderwerbeformen“ sind auch als „hybride“ Werbeformen oder „Special Ads“ bekannt. Darunter werden alle Formen verstanden, die inhaltlich oder formal von der klassischen Werbung abweichen. Im Radio und Fernsehen handelt es sich um Werbung, die nicht in Spot-Form in so genannten Werbeblocks ausgestrahlt wird.

Aktuell können im Radio neun, im Fernsehen rund 50 Formen unterschieden werden. Drei Grundtypen lassen sich aufgrund der Art ihrer Integration ins Programm abgrenzen: Formal integrierte Formen werden über technische Massnahmen auf den Bildschirm gebracht. Sie erscheinen formal getrennt von den übrigen Programminhalten (z.B. Split-Screens). Paradebeispiel für eine inhaltliche Integration ist das Product Placement, das vollständig in einen Programmkontext integriert ist und für das Publikum nicht mehr als Werbung wahrnehmbar ist. Bei der funktionalen Integration schliesslich sind die Werbeinhalte zugleich Programminhalte, wie etwa beim Teleshopping. Die Grenzen zwischen Programm und Werbung sind hier völlig aufgelöst.

 

Rechtliche Rahmenbedingungen

In der Schweiz wird Werbung und Sponsoring im Radio- und Fernsehgesetz und in der Radio- und Fernsehverordnung geregelt. Das Gesetz befindet sich derzeit in Totalrevision. Die Schweizer Regelung sieht wie die europäische Praxis vor, dass Werbung und Sponsoring vom übrigen Programm klar zu unterscheiden ist. Im Unterschied zu den EU-Richtlinien gibt es keinerlei gesetzliche Regelungen zu neuen Werbeformen wie Split Screens oder Product Placement. In der Praxis entscheidet die Regulierungsbehörde über die Zulässigkeit einer Werbeform.

Innerhalb der Europäischen Union bildet die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ oder „Fernsehrichtlinie“ den regulatorischen Rahmen. Da die Regulierungspraxis aber laufend von aktuellen Entwicklungen überholt wird, tendiert der neueste Entwurf zu einer Vereinfachung der Bestimmungen. Die strikten Regeln für Werbeunterbrechungen sollen fallen. Ausserdem soll auch Product Placement ausdrücklich erlaubt sein, wobei dies für das Publikum transparent gemacht werden muss.

 

Sonderwerbeformen in der Medienpraxis

Ungeachtet der mehr oder weniger restriktiven Regulierungspraxis dürften die Sonderwerbeformen in Europa in den letzten Jahren an wirtschaftlicher Bedeutung stark zugelegt haben. Allerdings ist die Datengrundlage unsicher, denn die neuen Werbeformen werden in kaum einem Land statistisch zuverlässig erfasst.

Auch die Expertenbefragung legt nahe, dass sich die Sonderwerbeformen bereits zu einer bedeutenden Einnahmequelle entwickelt haben. Die Geldflüsse sind indessen nur wenig transparent, denn die Erträge können sowohl in Geld- als auch in Sachleistungen, sowohl beim Programmveranstalter oder beim Vermarkter als auch bei der Produktionsgesellschaft anfallen. Fest steht, dass bei vielen neuen Programmformaten privater und öffentlicher Anbieter Sonderwerbeformen systematisch eingebaut werden.

Die Attraktivität der Sonderwerbeformen ergibt sich aus der Annahme, dass diese aufgrund ihrer Programmnähe eine bessere Werbewirkung erzielen als traditionelle Spotwerbung. Dieses Argument wird zusätzlich durch neue Technologien wie PVR (Personal Video Recorder) oder elektronische Programmführer (EPG) genährt. Diese erlauben zeitversetztes Fernsehen und damit die Möglichkeit, klassische Werbung auszublenden. Entwicklungen in den USA zeigen eine rasche Verbreitung dieser Technologien und entsprechende Veränderungen im Konsumverhalten. Ob die Entwicklung in Europa analog und ebenso rasch verläuft, ist jedoch ungewiss. Fest steht, dass neue Formen des Medienkonsums die klassischen Werbeformen bedrängen werden, wenngleich eine ungebremste Fortsetzung des Sonderwerbeformen- Booms eher unwahrscheinlich ist. Die Gestaltungsspielräume sind nämlich begrenzt, weshalb sich viele dieser Formen nicht als Substitut für klassische Werbung eignen, sondern vor allem als Ergänzung. Ausserdem sind Sonderwerbeformen in der Produktion oft teurer und erfordern spezialisiertes Know How, das nicht ohne weiteres vorhanden ist.

 

Wahrnehmung im Publikum

Werbung ist für das Publikum selbstverständlicher Teil der Medienrealität. Entsprechend unverkrampft geht es mit ihr um. Die Rezeption von Werbeinhalten ist hochgradig habitualisiert, und die Bewertung erfolgt weitgehend nach denselben Prinzipien wie die Programmbeurteilung. Unter „Werbung“ versteht das Publikum aber in erster Linie klassische Spotwerbung und diese wird als Störung erlebt, sofern sie keinen Informations- oder Unterhaltungswert besitzt.

Sonderwerbeformen wie Sponsoring oder Product Placement werden nur von einem kleinen Teil des Publikums bewusst wahrgenommen. Dabei lösen sie kaum Emotionen aus. Weil solche Formen weniger auffällig sind als die klassischen Werbespots, stören sie auch weniger und finden deshalb eine höhere Akzeptanz. Die Erinnerungsleistung ist jedoch gering.

Grenzen hat die Akzeptanz von Sonderwerbeformen aber dort, wo der Erlebensfluss gestört bzw. die Aufmerksamkeit der Rezipienten überfordert wird und wo das Vorkommen solcher Formen als unpassend empfunden wird.

 

Schlussfolgerungen

Sonderwerbeformen spielen in der Medienpraxis schon jetzt eine grosse Rolle, die künftig noch zunehmen wird. Gleichwohl sind ihrem Wachstum Grenzen gesetzt, die praktischer, regulatorischer und kommunikativer Art sind. Ein grundsätzliches Problem stellt die mangelnde Transparenz dar. Unklar ist nicht nur, was aus regulatorischer Sicht zulässig ist. Intransparent sind auch die Vermarktungsstrukturen, Preissysteme und die organisatorische Verortung in den Medienunternehmen. Nicht zuletzt herrscht auch Ungewissheit, was die Kommunikationsleistung bzw. Wirkung der neuen Werbeformen anbelangt.

Aus regulatorischer Sicht stellt sich die Frage, inwiefern der Grundsatz der Trennung von Programm und Werbung weiterhin als Prämisse taugt. In der Praxis von Unterhaltungs- und Sportprogrammen ist diese längst aufgelöst, und das Publikum geht damit pragmatisch um: Was nicht stört, übergeht es, und was es belästigt, dem weicht es aus. Restriktive Werberegelungen sind mit Verweis auf die Schutzbedürftigkeit des Publikums kaum noch zu legitimieren. Zeitliche Werbebeschränkungen oder etwa das Verbot von Split- Screens erscheinen unter diesen Umständen als anachronistisch – zumindest wenn sie das private Fernsehen betreffen.

Problematischer präsentiert sich die Sachlage, wenn es um die Unabhängigkeit der Redaktionen im Informationsbereich geht. Die Medien legitimieren sich gesellschaftlich ja nicht zuletzt durch ihre Überwachungsfunktionen, und diese sind nur gewährleistet, wenn die Redaktionen unabhängig von fremden Interessen sind. Angesichts des weiter anhaltenden Trends zum Infotainment, d.h. der Vermischung von Information und Unterhaltung, nimmt auch die Gefahr zu, dass involvierte kommerzielle Interessen Einfluss auf Informationsinhalte nehmen. Die Vorstellung von Programmveranstaltern und Medienpolitikern, wonach Informationssendungen von kommerziellen Interessen abgeschottet werden können, erweist sich unter diesem Aspekt als einigermassen realitätsfremd.

Diese Prozesse können aufgrund der Ökonomisierung der Mediensysteme kaum verhindert werden, umso wichtiger wäre es, diese so zu gestalten, dass sie allen Akteuren optimalen Nutzen bringen. Im Zentrum steht dabei die Forderung nach Transparenz. Diese zu ermöglichen ist Aufgabe der Medienpolitik. Nicht die detaillierte Regulierung aller derzeit möglichen und in absehbarer Zeit möglich werdenden Werbeformen sollte dabei im Zentrum stehen. Dies dürfte nämlich schon angesichts der technologischen Dynamik und dem Erfindungsreichtum der Werbevermarkter ein hoffnungsloses Unterfangen sein. Sinnvoller wäre eine Regulierung, die sich auf das Wesentliche, nämlich die Herstellung von Transparenz, beschränkt. Dadurch würden innovationsfördernde Freiräume entstehen, die der Medienwirtschaft wichtige Wachstumsimpulse vermitteln könnten.

 

 

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