Unstete Programmstrategien schweizerischer Radios: Die aktuelle Diskussion um die Vergabe der Rundfunkkonzessionen blendet aus, dass sich Programme stetig verändern. Eine Langzeitstudie der Publicom zeigt solche Veränderungen am Beispiel von Radios im Grossraum Zürich seit 1996 auf. Überraschendstes Ergebnis: Die dynamischste und konsequenteste Entwicklung vollzog DRS1.
Das Bundesamt für Kommunikation will ab diesem Jahr die Programme der konzessionierten Radio- und Fernsehstationen systematisch analysieren lassen. Im Rahmen einer Vorstudie untersuchte Publicom unter anderem die Entwicklung der Zürcher Privatradios sowie von DRS1 und DRS3 in den letzten zwölf Jahren. Die Ergebnisse sind nicht zuletzt auch im Hinblick auf die laufende Konzessionierungsrunde von Interesse.
Im aktuellen Rennen um eine der begehrten Radiokonzessionen sind auch neue Anbieter in aussichtsreichen Positionen. Dabei wird häufig das Argument ins Feld geführt, der neue Anbieter vergrössere die Vielfalt. Die Langzeitstudie zeigt nun aber auf, dass die Programmanbieter ihr Angebot laufend verändern. Das Resultat kann sowohl eine Angleichung als auch eine Differenzierung sein. Allerdings ist die Bandbreite der programmlichen Variationsmöglichkeiten für Anbieter, die sich an ein Mehrheitspublikum richten, sehr limitiert. Dabei scheint die Annäherung an das Publikum weitgehend nach dem Trial-and-Error-Verfahren zu erfolgen, oder die Radiomacher richten sich nach gerade geltenden Modetrends unter den Programmgestaltern. Anders sind die zum Teil abrupten Wechsel der Programmstrategien kaum zu erklären.
Eine der Konstanten ist der hohe Musikanteil, der zwischen sechs Uhr morgens und 20 Uhr abends bei den meisten Radios deutlich über 70% liegt. Einzig das Radio mit der grössten Hörerschaft, DRS1, weicht von dieser Regel mit einem seit Jahren konstant geringen Musikanteil von 43- 44% deutlich ab.
Ausbau der Informationen seit etwa fünf Jahren
Wer den aktuellen Diskussionen rund um die Vergabe der Radiokonzessionen folgt, könnte den Eindruck gewinnen, nicht Musik sei der zentrale Programminhalt, sondern Information. Denn alle Gesuchsteller versprechen mehr und qualitativ bessere Informationen. In der Realität spielt aber die Information einzig beim SRG-Sender DRS1 eine wichtige Rolle. Dieser Sender hat sein Informationsangebot seit zwölf Jahren sukzessive auf 37% der Sendezeit ausgebaut, während bei den Privaten und sogar bei DRS3 die Informationsbeiträge maximal 15 Prozent der Sendezeit ausmachen. Allerdings ist eine Tendenz zum Ausbau der Informationen seit etwa fünf Jahren bei DRS3, Radio24 und auch bei Energy zu erkennen, das seine Informationsleistung gegenüber dem früheren Hitradio Z von 2002 fast verdoppelt hat.
Die Quantität der Information sagt selbstverständlich noch nichts über deren Qualität aus. Es lässt sich aber festhalten, dass die Informationsleistung der Privaten sich oft im Verlesen von Agenturmeldungen bzw. Medienmitteilungen und im Einholen von O-Ton- Statements erschöpft. Anspruchsvollere journalistische Formen und formal komplexere journalistische Beiträge sind in der Regel DRS 1 vorbehalten. Was die Themen betrifft, ist ein Rückgang der klassischen Themen Politik, Wirtschaft und Sport zugunsten von Informationen aus dem Kultur-, Gesellschafts- und Showbereich zu beobachten.
Pop around the clock – auch bei DRS 1
Dass die Musik für den Hörerfolg eine entscheidende Rolle spielt, lassen die Veränderungen im Musikprogramm erkennen, wo die markantesten Entwicklungen stattfanden. Klar ist, dass modernes Radio Pop-Radio ist. Fast alle Stationen bestreiten den Löwenanteil ihres Musikprogramms mit bekannten Titeln aus dem Pop-Spektrum. Andere Stile, auch artverwandte wie Rock, Soul oder Funk, spielen nur eine Nebenrolle. So haben alle Stationen von 1996 bis 2002 ihren Anteil an Popmusik auf bis zu 94% (DRS3) aller gespielten Titel hochgefahren. Damit wurde aber möglicherweise die Schmerzgrenze des Publikums erreicht, denn seither ist bei den meisten Stationen wieder etwas mehr stilistische Vielfalt hörbar. Den umgekehrten Weg beschreitet allerdings DRS1, das seinen Popanteil auf Kosten von Volksmusik und Schlager seit 1996 von 32% auf 77% gesteigert hat. Das Musikprogramm des DRS-Flaggschiffs enthält somit mehr Pop-Titel als DRS 3 oder Energy! Letzteres war im übrigen 2007 das einzige kommerzielle Privatradio im Raum Zürich, das ein stilistisch etwas vielfältigeres Musikprogramm produzierte – abgesehen von Radio Tropic, das aber Ende Jahr die Segel streichen musste.
Zur Mehrheitsfähigkeit eines Musikprogramms trägt offenbar auch ein hoher Anteil bekannter Titel bei. Insbesondere die privaten Stationen setzen deshalb in ausgeprägtem Masse auf Hitparadentitel. Das Musikprogramm des ehemaligen Hitradio Z von 2002 bestand praktisch ausschliesslich aus bekannten Hits. Diese Strategie, zu der auch die Reduktion der Information auf homöopathische Dosen gehörte, führte bekanntlich zum Schiffbruch. Das Jahr 2002 erweist sich in dieser Beziehung als Wendepunkt. Inzwischen streuen fast alle Stationen wieder etwas häufiger auch unbekannte Songs ein. Allerdings mit einer bedeutenden Ausnahme: Radio 24 hat sich diesem Trend (noch?) nicht angeschlossen.
In den letzten zwölf Jahren haben Radio 24, Energy (vormals Radio Z) und auch DRS 3 zum Teil heftige Strategiewechsel vollzogen. Deutlich weniger gilt dies für Radio Zürisee, das eine relativ stabile Linie verfolgt. Kontinuierlich verläuft dagegen die Entwicklung zum Informationsradio mit Pop-Musikteppich bei DRS1.
Die Ergebnisse der Langzeitstudie zeigen, dass Radioprogramme starker Dynamik unterworfen sind. Dabei sind sowohl Tendenzen zur Vereinheitlichung, in den letzten Jahren aber auch gegenteilige Entwicklungen zu beobachten. Es wird interessant sein, zu beobachten, ob sich diese in einer möglicherweise veränderten Radiolandschaft weiter fortsetzen oder ob sich die Programme auf der Suche nach dem Mehrheitspublikum einander wieder angleichen werden.