Erfolg mit Mainstream

In: "Media Trend Journal" 9/2001

Mehr Wettbewerb führt nicht unbedingt zu mehr Programmvielfalt. Im Raum Zürich haben sich die Radioprogramme seit 98 stark angeglichen.

In gesättigten Märkten spielt die Unverwechselbarkeit eines Produkts eine wichtige Rolle, ebenso wie seine Fähigkeit die spezifischen Erwartungen einer bestimmten Zielgruppe möglichst perfekt zu erfüllen. Nicht so offenbar im Radiomarkt, hier streben die Anbieter nach möglichst grosser Ähnlichkeit. Dies ist eines der Ergebnisse einer Publicom-Studie, die zwischen 1998 und 2000 die Entwicklungen im Radiomarkt des Grossraum Zürichs untersucht hat. Im Rahmen der grösstenteils vom Bundesamt für Kommunikation (Bakom) finanzierten Studie wurden auch die Programme der im Raum Zürich operierenden Privatradios analysiert, und zwar an jeweils zwei Stichtagen im Mai 1998 und 2000.

Im Jahr 2000 stehen dem Radiopublikum im Grossraum Zürich sechs lokal-regionale Programme zur Auswahl, von denen fünf (Radio 24, Radio Z, Radio Zürisee, Radio Top, Radio Tropic) sich als kommerziell definieren. Mit einer Ausnahme (Tropic) strahlen alle ein Programm aus, das in seinen Grundstrukturen fast identisch ist: Die Anteile an Information und Musik am Gesamtprogramm, der Anteil Musiktitel, die im Pop/Rock-Stilspektrum anzusiedeln sind, und der Anteil an englischsprachigen Titeln variieren nur im Fünf-Prozent-Bereich Der Anteil an Top 30-Titeln liegt bei allen deutlich über der Hälfte, bei Zürisee sogar bei drei Vierteln (Abb. 1).

Auch bei näherer Betrachtung des im Radiobereich erfolgsentscheidenden Musikprogramms fällt auf, dass sich die etablierten Anbieter durchwegs in einem sehr engen Bereich des offenbar mehrheitsfähigen Adult Contemporary-Mainstream-Formats bewegen, wenn auch mit je unterschiedlichen Akzentuierungen: Radio 24 setzt etwas weniger auf Hitparadenmusik, Top spielt in hohem Masse aktuelle Musik aus den 90er Jahren, und Zürisee strahlt markant mehr Oldie-Hits aus. Radio Z (und auch das öffentliche DRS3) positionieren sich irgendwo in der Mitte. Demgegenüber erscheint Radio Tropic als eigentlicher Exot, nicht nur, weil 99% seiner ausgestrahlten Musikstücke nicht in den Top-30 erscheinen, sondern auch, weil drei Fünftel davon dem Stilbereich Reggae/Latino/Ethno entstammen und weil bloss 15 Prozent englischsprachige Titel sind).

 

Seit 1998 haben alle Sender ihre Musikformate justiert

Zwischen 1998 und 2000 haben alle Anbieter ihre Musikformate justiert, wobei generell eine Reduktion von „auffälligen“, d.h. möglicherweise polarisierenden Stilrichtungen zu Gunsten des Mainstream-Pop festzustellen ist. So hat beispielsweise Radio 24 seinen Anteil an Black-Music (Soul/Funk) um die Hälfte verringert, den Anteil an Pop aber fast verdoppelt. Das Bestreben geht offensichtlich dahin, der Hörerschaft ein möglichst leicht konsumierbares Musikprogramm ohne Reibungsflächen anzubieten. Von 1998 bis 2000 sind sich die vier etablierten Lokal-Programme noch ähnlicher geworden– so ähnlich, dass durchschnittliche Hörerinnen und Hörer aufgrund des Musikprogramms mit grosser Wahrscheinlichkeit keinen Unterschied zu erkennen vermögen. Berücksichtigt man noch die Entwicklung von DRS3, so wird es noch deutlicher: Die Radios suchen den Erfolg nicht im Profil, sondern im Mainstream. Grössere Schwenks nahmen (neben Radio DRS3) vor allem Radio 24, Radio Z und Radio Top vor. Radio 24 gab sein etwas urbaneres Format zu Gunsten eines stärker Mainstream-orientierten AC-Formats auf. Radio Z hat – wie Top – sein Musikprogramm verjüngt, d.h. seinen Anteil an aktueller Musik wesentlich ausgebaut und liegt näher bei Radio 24 als zwei Jahre zuvor.

Differenzierung durch Verpackung

Der dadurch zunehmenden Gefahr der Austauschbarkeit begegnen diese Sender mit einer massiven Aufstockung der strukturierenden Programmelemente (Jingles und Trailers), welche die akustische Wiedererkennbarkeit des Programms sicherstellen sollen. So hat beispielsweise bei Radio Z seit 1998 der Einsatz von Trailers um 62%, der Einsatz von Jingles sogar um 165% zugenommen! Im Schnitt 25 mal pro Stunde werden die Radio Z-Hörer mit solchen Strukturelementen traktiert. Dieselbe Entwicklung lässt sich auch bei Top und Zürisee nachvollziehen, wenn auch nicht ganz im selben Ausmass. Einzig Radio 24 hat den Einsatz von Verpackungselementen seit 1998 nicht gesteigert.

 

Radio 24 ist der Kurswechsel nicht gut bekommen

Natürlich würden die Programmanbieter diese Strategie der Mehrheitsfähigkeit nicht fahren, wenn sie nicht von deren Erfolg überzeugt wären. Fragt sich nur, wie berechtigt diese Hoffnung wirklich ist. Einige Fakten lassen zumindest Zweifel aufkommen: Nicht die Programmmacher und deren Berater entscheiden ja letztlich über Erfolg oder Misserfolg, sondern das Radiopublikum. Während Z und Zürisee ihre Akzeptanz tendenziell steigern konnten, scheint R 24 die Strategiekorrektur weniger gut bekommen zu sein. Sowohl quantitativ (Marktanteile) als auch qualitativ (Stammhöreranteil, Programmbindung, Zufriedenheit mit Programm) musste es Einbussen hinnehmen. Die angesichts der Umstände aber erstaunlichste Entwicklung erfuhr DRS2. Die gerne als Randgruppensender bezeichnete Station hat im Grossraum Zürich nicht nur Marktanteile gewonnen und lag zum Zeitpunkt der Erhebung 2000 in der Gegend von DRS3, Zürisee und Z, sondern stellt in qualitativer Hinsicht alle übrigen Sender weit in den Schatten.

Nachdenklich stimmt auch der Umstand, dass die Musikpräferenzen der Bevölkerung keineswegs mit den Musikprofilen der Privatradios übereinstimmen. Viele stark nachgefragte Stile werden von den bestehenden Programmen nämlich überhaupt nicht berücksichtigt. So bezeichnen sich 29% der Radiohörer im Grossraum Zürich als Liebhaber klassischer Musik, 22% zählen Schlager zu ihren beliebtesten Musikstilen, immerhin 17% Schweizer Volksmusik.

Dass eine Mainstream-Strategie in einem kompetitiven Versorgungsgebiet für alle Anbieter gleich erfolgreich ist, ist eher unwahrscheinlich, denn das Radiopublikum lässt sich ja bekanntlich nicht vermehren. Dennoch dürfte die Entwicklung im Grossraum Zürich kein Einzelfall sein. Homogenisierungsprozesse der etablierten Stationen im Kampf um die grössten Marktanteile sind wohl auch in anderen Regionen der Schweiz zu beobachten, zumal der beschränkte Erfolg profilierterer Programme (wie etwa Tropic oder Virus) die Mainstream-Strategie auf den ersten Blick zu bestätigen scheint.

 

Die Rezepte der Programmberater

Im Zusammenhang mit der Uniformierung der Programme zu problematisieren wäre die Rolle der amerikanisch-deutschen Programmberater. Es ist bekannt, dass einige davon auch Schweizer Radios, private und öffentliche, beraten. Dass das Resultat dann überall etwa ähnlich aussieht, ist kein Zufall. Greifen doch alle Consultants auf ein paar vermeintlich allgemeingültige Rezepte zurück. Dazu gehören etwa die radikale Eliminierung sämtlicher Wortbeitrage, die länger sind als eine Minute und dreissig Sekunden. Angeblich erträgt ein moderner Radiohörer keine längeren Wortunterbrüche. Dabei zeigt die moderne Zapping-Forschung ein weit differenzierteres Bild des modernen Radiokonsumenten. Gemäss einer Publicom-Studie aus dem Jahr 2000 sind nämlich nur etwa 10% des Radiopublikums zu den Vielwechslern zu zählen, also zu denjenigen die gewohnheitsmässig umschalten. Ihre Motive sind überdies sehr unterschiedlich.

Schliesslich empfehlen die Radio-Consultants auch den Einsatz von Fortsetzungs-Gewinnspielen, um Radiohörer bei der Stange zu halten bzw. sie auf den Kanal zu bekommen. Doch auch in diesem Punkt sind die vermeintlichen Erfolgsrezepte mit Vorsicht zu geniessen, gibt es doch in der Schweiz grössere Publikumssegmente, die sich gerade an diesen Programmelementen stören und sie nicht selten zum Anlass nehmen, auf einen anderen Sender umzustellen. Die erwähnte Publicom-Studie stellte fest, dass dies für fast die Hälfte der Zapper ein wichtiges Umschaltmotiv ist.

Ein weiteres Rezept, das die Berater aus ihren Aktenkoffern zaubern, heisst „Branding“. Das läuft unter anderem darauf hinaus, dass praktisch nach jedem Musikstück ein Kennungsjingle mit dem Claim der Station gesendet wird – daher die inflationäre Zunahme dieser Elemente bei den analysierten Programmen. Bei BE1, dem ehemaligen Radio Förderband, klingt es in gut deutscher Art: „Der beste Mix der 80er und 90er und die Megahits von heute“.

 

Erfolgsrezept für alle?

Die Musikprogrammierung schliesslich, das Kernstück des modernen Produkts Radios, muss so beschaffen sein, dass es möglichst dem mitteleuropäischen Durchschnittsgeschmack entspricht. Es darf weder Ecken noch Kanten und schon gar keine polarisierenden Stilrichtungen enthalten. Das erreicht man am ehesten, wenn mindestens zu zwei Dritteln Musikstücke aus den Charts gespielt werden. Die neusten Hits müssen in rascher Rotation gespielt werden, d.h. mit Wiederholungen alle zwei bis drei Stunden. Dadurch reduziert sich natürlich die aktive Playlist auf wenige hundert Titel. Stationen der französischen NRJ-Gruppe, die sich überall in Europa ausbreiten und deren Programme ein bisher nie gekanntes Standardisierungsniveau erreichen, kommen mittlerweile mit 200 aktiven Titeln aus. Dass dies mitnichten dem breiten Publikumsbedürfnis entspricht, enthüllt ein Vergleich zwischen verkauften CDs und den in den Radios gespielten Titeln. So verkaufte sich z.B. Buena Vista Social Club in der Schweiz bisher mehr als 150’000 mal und ist noch immer, vier Jahre nach Veröffentlichung, in den Top 100 zu finden. Obwohl die CD damit zu den bestverkauften aller Zeiten gehört, werden die Titel in praktisch keinem Schweizer Privatradio je gespielt.

Unter diesen Umständen erscheint es zweifelhaft, ob Mainstream für alle Marktteilnehmer ein Erfolgsrezept sein kann. Denn wo die Produkte völlig austauschbar sind, entscheidet das Marketing über Erfolg und Misserfolg. Spätestens zu diesem Zeitpunkt werden sich die Anbieter fragen müssen, was wirtschaftlicher ist: den Marketingaufwand zu erhöhen oder das Produkt zu profilieren. So gesehen ist die Homogenisierungstendenz möglicherweise nur eine Übergangsphase auf dem Weg zu einem differenzierteren Radiosystem, das die durchaus nicht homogenen Interessen des Publikums präziser bedient als dies heute der Fall ist.

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