Eine Leistung, die Respekt verdient: Die 50-jährige Institutionsgeschichte der SRG

In: "Neue Zürcher Zeitung", 18. Juli 2003

Professor Ulrich Saxer zieht im folgenden Artikel eine insgesamt positive Bilanz der 50-jährigen Institutionsgeschichte der SRG. In vielfachen Optimierungsschritten und dank gegenseitigen Lernprozessen des Fernsehen und seiner Gesellschaft sei ein Angebot verwirklicht worden, das von der Schweiz weitgehend angenommen worden sei.

Autor: Prof. Dr. Ulrich Saxer, Verwaltungsratspräsident Publicom AG

Jubiläen sind Orgien der Geschichtsschreibung, zumal solche von Akteuren, die im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen. Besonders heikel ist die Historiographie von Medien, deren Öffentlichkeitspräsenz ja darauf fusst, dass ihr Produkt die ständige Herstellung von Öffentlichkeit ist und damit auch für sie selber. Medienkommunikation wirbt für alles Erdenkliche, dabei aber unvermeidlicherweise immer auch für sich selbst. Die bei Medien- Jubiläen häufige rühmende Selbstrückschau auf das für die Oeffentlichkeit Geleistete ist daher doppelt problematisch und im Grunde auch überflüssig. Medien, die lange überleben, erbringen ja allein schon damit eine bemerkenswerte Leistung. In erster Linie interessieren daher die Gründe solch erfolgreicher medialer Selbstbehauptung.

 

Nicht nur Nabelschau

Es ist denn auch anerkennenswert, dass die SRG nicht bloss aus Anlass des 50. Geburtstags ihres Fernsehens ihre Geschichte umfassend und keineswegs unkritisch aufarbeitet und auch externen Forschern und Fragern diesbezüglich Red und Antwort stehen. In diesem Sinne verdanken die folgenden Thesen auch der Kooperationsbereitschaft des nationalen Programmanbieters viel und sollen dessen retrospektive Selbstdeutung durch eine externe und stärker soziologische, nämlich institutionsgeschichtliche Perspektive ergänzen. Medien, vor allem solche mit grossem Verbreitungsvermögen, werden von Gesellschaften gemäss gewissen Regelungsmustern etabliert, eben institutionalisiert. Zeitungen operieren in europäischen Demokratien grundsätzlich als Konkurrenten auf dem Markt wie andere Unternehmen, sind liberal institutionalisiert, Radio und Fernsehen hingegen haben bestimmten zusätzlichen, nämlich politischen Auflagen, verdichtet im sogenannten Programmauftrag, zu genügen, sind also demokratisch kontrolliert institutionalisiert. Hauptlegitimation dieser institutionellen Ungleichbehandlung, die für die SRG langezeit Privilegierung wie Benachteiligung bedeutete, nämlich Schutz vor nationaler Konkurrenz, aber auch Handlungsrestriktionen, war die beschränkte Zahl von verfügbaren Sendefrequenzen. Diese sollten nicht bloss wirtschafts-, sondern überhaupt gemeinwohldienlich genutzt werden.

 

Programmauftrag im Zentrum

Seither hat im Gefolge der Kanalvermehrung dieses Knappheitsargument an Stichhaltigkeit eingebüsst. Im Zentrum der institutionsgeschichtlichen Analyse hat demnach zu stehen, wie und mit welchem Erfolg das SRGFernsehen während 50 Jahren den Programmauftrag interpretiert und realisiert hat und zwar unter Bedingungen kommunikationstechnischer Dynamisierung, verstärkter Konkurrenz auf den Medienmärkten und individualisierteren Publikumsverhaltens. Und auszugehen ist vom Umstand, dass ein solcher Programmauftrag regelmässig die kontroverse Summe unterschiedlichster Erwartungen an ein solches Medium bildet. Unter dieser Optik kann nur festgehalten werden, dass 50 Jahre Institutionsgeschichte des Schweizerischen Fernsehens zwar von schweizerischen Eigenheiten geprägt sind, aber nur sehr bedingt einen helvetischen Sonderfall erkennen lassen. Alles andere wäre bei der Gleichläufigkeit vieler Entwicklungen in den modernen Gesell-schaften und den Internationalisierungstrends in den Mediensystemen schwer erklärbar. So verläuft die Institutionalisierung des neuen Mediums in manchem vielleicht zwar kleinstaatlich putzig – etwa wenn Mitarbeiter für das neue Medium Television buchstäblich von der Strasse weg rekrutiert werden müssen oder der Typ „Grüezi“-Unterhaltung, bieder, dafür vergleichsweise menschenfreundlich, am ehesten helvetischen Fernseh-Publikumserfolg verbürgt. Das Erstere entspricht indes durchaus dem Versuchs- und Irrtumsschema früher Phasen von Institutionalisierung, d.h. der Strukturbildung um gesellschaftliche Neuerungen im Allgemeinen und auch die Bevorzugung von Unterhaltungsangeboten, die der eigenen lokalen oder nationalen Kultur entstammen, ist trotz dem weltweiten Erfolg amerikanischer Serien ein internationaler Befund.

 

International beobachtbare Phasen

So prägt eine Phasendynamik das halbe Jahrhundert Institutionsgeschichte des Schweizer Fernsehens, die, sich auch anderswo findet, weil für grössere Neuerungen in demokratischen Gesellschaften die angemessene institutionelle Passung erst allmählich entwickelt werden muss. Auch die Emanzipation der Medien aus traditionellen institutionellen Bindungen und ihre stärkere Ausrichtung auf den Werbe- und Publikumsmarkt zeichnen sich ja allenthalben ab. Ebenso liegt die institutionelle Umorientierung der SRG von der Anstalt zum Unternehmen im internationalen Trend. So folgt auch in der Schweiz auf eine erste, die eigentliche Institutionalisierungsphase mit Legitimationswerbung für das neue Medium – z.B. etwa durch die reichliche Uebertragung von Gottesdiensten – gegen schwerste kulturpessimistische Bedenken, analog zu vielen andern westeuropäischen Fernsehsystemen mit dem stürmischen Wachstum des neuen Mediums eine zweite Phase, in der dieses, vor allem des Deutschschweizer Fernsehens, Konflikte mit der institutionellen Umwelt, sei es das Militär, die Wirtschaft oder die politische Rechte, namens einer „progressiven“ Interpretation des Programmauftrags nicht (mehr) scheut. Entsprechende Gegenreaktionen bleiben nicht aus, aber schliesslich akzeptiert das Schweizervolk 1984 einen Radio- und Fernsehartikel, der die Television und die sie institutionalisierende Gesellschaft in eine zwar grundrechtlich stabile, aber prekäre Balance bringt und damit die Grundlage für eine dritte Phase institutioneller Konsolidierung schafft.

 

Insgesamt akzeptable Programmqualität

Prekär ist und muss dieses Verhältnis ja grundsätzlich und damit auch weiterhin sein, weil auch kein Gesetzgeber gewisse elementare Spannungen wegdekretieren kann, die die Realisierung demokratisch kontrollierter Institutionalisierung von der Art der BBC, von ARD/ZDF, des ORF oder eben der SRG und ihres Fernsehens problematisieren. Diese gründen in erster Linie in der Eigenrationalität von Medienkommunikation als solcher, der beschränkten Tauglichkeit von Recht als medienpolitischem Steuerungsinstrument und den Legitimationsdefiziten von Medienrecht im Lichte des demokratischen Prinzips von Medienfreiheit. Umso anerkennenswerter ist, dass unter diesen Bedingungen die SRG, dem Ideal des Service Public verpflichtet, während eines halben Jahrhunderts eine dauernde Fernsehproduktion von insgesamt akzeptabler und nachgefragter Qualität realisiert hat. Freilich wird diese Qualität immer wieder in Frage gestellt, zumal von jenen traditionalistischen Kreisen, die der SRG ihre stärker marktorientierte Interpretation des Programmauftrags seit den neunziger Jahren verübeln. Tatsächlich vervollkommen aber die Verantwortlichen des nationalen Fernsehanbieters fortlaufend ihr Qualitätsmanagement, wird insbesondere die Publikumsforschung zum immer effizienteren strategischen Instrument der Unternehmensführung weiterentwickelt und nimmt überhaupt die Professionalität im SRGFernsehen zu. Dabei ist dies keineswegs selbstverständlich, denn von Anfang an muss dieses wie die schweizerischen Medien überhaupt mit sehr knappen Mitteln auskommen, und ebenso wie die im internationalen Vergleich nach wie vor grosse Zahl helvetischer Zeitungsartikel zeugt auch das Verhältnis von Produktionsaufwand und –ergebnis beim SRGFernsehen vom beachtlichen Können schweizerischer Medienmachern. Die genauere Analyse zeigt allerdings, dass sich dessen gewaltige Programmvermehrung während der letzten Jahre vornehmlich vermehrten Wiederholungen verdankt. Fortwährend muss eben das SRG-Management als einziger nationaler Fernsehprogrammanbietger zutiefst widersprüchlichen Erwartungen genügen: denjenigen eines nach wie vor „idealistischen“ Programmauftrags und zugleich der Verpflichtung zur Eigenwirtschaftlichkeit in einem immer härter umkämpften Markt; derjenigen als „Idee Suisse“ mit diesem Programm die kontrastierenden schweizerischen Leitideen der politischen Einheit und der kulturellen Vielfalt integriert und zugleich differenziert zu widerspiegeln; und schliesslich dem Fernsehpublikum dasjenige zu geben, was es will, aber eben auch nur dasjenige, was ihm guttut.

 

Abenteuerlich-optimistische Verfassung

Gegen die sogenannte „Kostenkrankheit“ kulturelitärer Produktion, das mit ihr dauernd verbundene Problem ungenügender Profitabilität vermag aber auch das beste Fernsehmanagement nur in beschränktem Masse etwas auszurichten, und wohl ihm, wenn ihm bei solchen Angeboten nicht allsogleich die entsprechend bescheidenen Einschaltquoten populistisch um die Ohren geschlagen werden. Die helvetische Soap Opera Lüthi und Blanc wiederum, interkulturell integrativ gemeint konzipiert, gefällt bloss in der Deutschschweiz, weil die fortschreitende Differenzierung der verschiedenen Regionen der Schweiz durch Fernsehkultur ebenso wenig aufzuhalten ist wie die Privatisierung der Mentalitäten durch Politik am Fernsehen. Der Verfassungsrahmen dieser Medienordnung schliesslich ist in seiner Formulierung von 1984: „Radio und Fernsehen tragen zur kulturellen Entfaltung, zur eigenen Meinungsbildung und zur Unterhaltung der Zuhörer und Zuschauer bei“ abenteuerlich optimistisch und dirigistisch zugleich. Da werden ja, genau gelesen, nichts weniger als real-ideale Publikumszustände vorge-schrieben, die durch Medienangebote in einer Demokratie zu erreichen seien. Die Institutionsgeschichte des demokratisch kontrollierten Rundfunks impliziert eben auch die allmähliche Einsetzung des Publikums als (einigermassen) gleichberechtigten medienpolitischen Akteur – ein schwieriges Unterfangen! Der ehemalige Chefredakteur von FS-DRS , Peter Studer, schreibt sogar im Jubiläumsband „50 Jahre Schweizer Fernsehen“ von einer 4. Phase ab 1990 und einem „Paradigmenwechsel: Von der Selbstverwirklichung der Macher hin zur Gewinnung des Publikums“.

 

Gegenseitige Lernprozesse

Wie präsentiert sich da die institutionsgeschichtliche Bilanz eines halben Jahrhunderts SRG-Fernsehen? Wenn gelungene Institutionalisierung sich dadurch auszeichnet, dass sie mehr Probleme löst als schafft, kann diese Bilanz, in einem vorläufigen und subjektiven Urteil, gesamthaft wohl positiv ausfallen. In vielfachen organisations-, personal- wie programmpolitischen Optimie-rungsschritten und dank gegenseitigen Lernprozessen des Fernsehens und seiner gesellschaftlichen Umwelt ist während 50 Jahren ein Fernsehangebot verwirklicht worden, das von der Schweiz weitgehend angenommen worden ist. Dies ist eine Leistung, die immerhin Respekt verdient.

 

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